Leseprobe aus:

Ohne mich geht gar nichts

 

Auszug aus dem 1. Kapitel

Um es gleich vorneweg zu sagen - ich bin ein Sonderangebot. Entworfen wurde ich zwar in Italien - aber angefertigt hat man mich in China. Können Sie sich vorstellen, welche Reise ich hinter mir habe - Italien, China und dann ... ein Kaufhaus in Mainz? Dort lag ich in einem offenen riesigen Kasten zusammen mit Hunden, Katzen, Hasen und vielen Enten.

Ach ja - ich bin auch eine Ente - hab ich das noch nicht gesagt?

 

Eines Tages traten zwei Frauen an meinen Container - na ja, meinen stimmt nicht wirklich, das Übertreiben liegt uns Enten ein wenig im Blut. Die ältere meinte: “Ich möchte dir ein Stofftier schenken. Welches gefällt dir?“

Die Jüngere überlegte einen Augenblick und griff nach einer kleinen Ente, die mir ziemlich ähnlich sah. Schade - hätte sie sich doch für mich entschieden, denn die beiden sahen wirklich sympathisch aus.

Auf dem Weg zur Kasse drehte sich die Ältere plötzlich um - sie hielt die Ente in Händen, kam zurück, legte sie wieder zu den anderen, griff nach mir und flüsterte: „Du hast mich so flehentlich angeschaut - ich muss dich einfach mitnehmen!“

Ich geb‘s ja zu, die Verschmähte tat mir schon ein bisschen leid - aber eben nur ein bisschen, denn innerlich schrie ich ganz laut: „Hurra“ und damit begann meine Geschichte bei den beiden Freundinnen.

 

Auszug aus dem 5. Kapitel

Ich habe Angst - hört mich denn keiner? Chaaaarliiie - Dooomie - helft mir - so helft mir doch, bitte, bitte helft mir ...

Der Tag hatte so gemütlich angefangen, auch wenn draußen ein Sturm tobte, dass es sich hier oben im siebten Stock schon ziemlich wüst anhörte. Nach dem Frühstück gingen die beiden Frauen mit mir und Puntito auf den Balkon, um sich über die Leute zu amüsieren, die in panischer Eile Hüte, Mützen und Jacken festhielten und von der Promenade fort in Richtung Dorf liefen.

„Das sind ja richtig hohe Wellen, die den Sandstrand überrollen“, meinte Charlie und Domi gab ihr recht: „Ja, da wird es heute nichts mit einer Wattwanderung oder einer Fahrt rüber zur Insel Neuwerk. Sie haben auch überall rote Fahnen gehisst, scheint alles nicht ungefährlich zu sein.“

Ich weiß nicht, ob sie wollten, dass ich mir das da unten richtig anschauen konnte - jedenfalls setzte mich Charlie einen Augenblick auf die Balkonbrüstung ... ohne mich festzuhalten! Nur einen winzig-kleinen Augenblick!

Plötzlich spürte ich, wie mich ein Windstoß erfasste. Ich dachte noch, ich muss mich festhalten!

Hält mich denn keiner fest?

Nein ... ich stürzte und stürzte, trudelte hin und her, immer tiefer, immer schwindelerregender. Ich schrie so laut, dass ich glaubte, mir müsste die Stimme explodieren. Und ich hörte die Schreie von Domi und Charlie, aber sie hörten mich nicht! Niemand hörte mich! Niemand! Irgendwann schlug ich hart auf den Boden auf, und alles wurde schwarz um mich herum.

Langsam kam ich wieder zu mir. Was war denn das? Ich wurde ja nass und nasser. Immer hatte Charlie Angst gehabt, mich ab und an vorsichtig zu waschen. Wenn Domi riet: „Der gehört aber auch mal gewaschen“, hat Charlie stets ängstlich abgewehrt: „Du weißt doch, er ist in China gemacht, da geht er bestimmt beim Waschen kaputt.“ Und zum ersten Mal war ich dankbar dafür gewesen, aus China zu kommen, ich hatte nämlich überhaupt keine Lust aufs Waschen oder ein Bad.

Und jetzt - jetzt saugte sich mein ganzer Körper voll mit dem Regen, der auf mich niederprasselte! Warum kommen denn Domi und Charlie nicht? Sie müssen mich doch suchen? Ich bin ja nicht unsichtbar geworden. Wieder fing ich an zu schreien, aber wer sollte meine stummen Schreie denn hören? Mein Körper wurde immer schwerer - so fühlte es sich also an, wenn man als Kuscheltier starb? Ich weinte leise vor mich hin. Ich will noch nicht sterben ... Ich will bei Domi und Charlie bleiben und ja - auch beim Puntito, der nur die ersten Tage so ein bisschen scheußlich zu mir gewesen ist. Nachher - ich glaube, es war nach dem Zeitungsartikel und unserer Aktion - haben wir immer gemeinsam am Fenster gesessen, wenn die beiden Frauen nicht da waren, haben uns über die Leute amüsiert, vor allem, wenn sie weit, weit hinaus über das riesige Matschgebiet gewandert sind, sich alle Augenblicke bückend. Was die wohl gesucht haben, fragten wir uns immer wieder. Später bekamen wir mit, dass die Leute seltene Muscheln gesucht haben und dass das kein Matsch ist, sondern das Watt - der Unterschied war uns nicht ganz klar. Ob er mich vermissen wird, der Puntito? Und wieder versuchte ich zu schreien.

Erschreckt spürte ich, wie eine große Hand mich aufhob und eine Männerstimme sagte: „Na, du armer kleiner Kerl. Bist ja tüchtig nass geworden“, und er drückte meinen Körper richtig fest zusammen.

‘Au, aua, Sie tun mir weh’, weinte ich, aber gleichzeitig konnte ich spüren, wie ich wieder viel leichter wurde, was mich den Schmerz schnell vergessen ließ.

„Wer hat dich denn verloren? Du bist ja so ein witziges Kerlchen mit deinem grünen Kopf und dem gelben Schnabel.“

‘He, Sie da, ich bin kein witziges Kerlchen. Ich bin Espi, und ich bin sehr wichtig. Zumindest habe ich das bis heute Morgen gedacht.’ Espi, das hast du dir auch nur eingebildet! Domi und Charlie kommen ja noch nicht mal, um dich zu suchen!

Soll das bedeuten ...? Wieder wurde mir schwarz vor Augen, als ich den Satz zu Ende dachte: Soll ich sie nun nie mehr sehen, nie mehr bei ihnen sein können, nie mehr mit ihnen zurück nach Mainz fahren? Wieder schnürte mir die Angst die Luft ab.

Der Mann hatte mittlerweile ein großes buntes Taschentuch hervorgezogen und versuchte, mich trocken zu reiben. „Da wird gewiss so ein kleines Mädchen oder auch Junge sehr traurig sein, dass sie dich verloren haben.“

‘Das sind keine Mädchen oder Jungen, das ist meine Charlie und meine Domi und der Puntito. Warum kannst du mich nur nicht verstehen? Und warum kannst du mich nicht einfach zurücktragen zu dem großen Haus dort hinten.’

Suchend schaute ich mich um, so gut es aus der warmen Hand des Mannes heraus möglich war.

Wo hinten denn? Ich kann das Haus nicht sehen! Panik erfasste mich! Hat mich der Sturm so weit weg getragen? Dann werden Domi und Charlie mich nie finden, nie - nie!

Und was wird der fremde Mann mit mir machen? Er mag bestimmt für sich keine Kuscheltiere und wird mich in irgendeinen Mülleimer stecken. Ich muss ja schrecklich aussehen - meine Schönheit wird hinüber sein. Was will er denn mit einem so zotteligen Etwas wie mir anfangen?

Und wenn er Kinder hat? Ach, was ist nur aus meinem wunderschönen Leben geworden? Ich merke, dass ich wieder weine - vergeblich, die Menschen können meine Tränen ja doch nicht sehen.