Leseprobe aus
Schatten umarmen
Auszug aus Kapitel 3
Ben Gurion Flughafen in Tel Aviv... Sonnenlicht blitzte auf den Flügeln einer startenden Maschine. Kerosingestank in der Luft und Miriam, die auf Katharina zulief.
Sie nahmen ein Taxi zum Zentrum.
Katharina konnte nur schauen: moderne Fassaden von Einkaufszentren, riesige Bankgebäude, daneben herrschaftliche Villen, von denen der Putz bröckelte.
Straßencafés und vom Strand her die Silhouetten großer Hotels. Und Lärm! Alle Menschen schienen gleichzeitig zu sprechen, zu lachen.... Autos hupten... Bremsen quietschten... und über allem das Dröhnen orientalischer Musik aus Kofferradios!
Miriam setzte sie an einem gelb gestrichenen Haus ab, das mitten in einem wild wuchernden Garten stand - “ich muss noch zur Uni, bis heute Abend also”.
Es war ein helles Zimmer mit Balkon, das ihr Frau Grossman zeigte und dabei ihre Lebensgeschichte erzählte.
Als Katharina endlich allein war, trat sie auf den winzigen Balkon.
Sie schloss die Augen, atmete tief ein. Ein süßer Orangengeruch verband sich mit dem Duft des wilden Jasmin, der verschwenderisch im Garten blühte. Es roch nach Meer und Sommer und aus einem Fenster unter ihr stiegen fremdländische Küchendüfte empor.
‘Ich bin in Israel.‘ Katharina sagte es nicht laut, fühlte es als große Wärme.
Jetzt Koffer auspacken? N e i n, sie kramte ihre Jeans hervor, streifte einen leichten Pulli über, und rannte fast durch die schmalen Straßen zum Strand hinunter.
Sie musste den Sand unter ihren Füßen spüren... zog Schuhe und Strümpfe aus.
Das Wasser war kühl, die lang hereinwogenden Wellen umspülten ihre Füße. Sie ging am Strand entlang. Spürte die Sonne auf ihrem Gesicht und jetzt rief sie es laut über das Wasser, gegen den lauen Wind, ins leise Schmatzen der Wellen: ‘Ich bin in Israel.’
Auszug aus Kapitel 19
Zuerst war die Landschaft sanft. Katharina ging an einem Bachlauf entlang. Kniete nieder, pflückte gelbe Schlüsselblumen. Beugte sich über das klare Wasser. Es spiegelte nicht ihr Gesicht wider. Auch nicht die Wolken, die weiß über einen blassblauen Himmel zogen. Sie erschrak. Fürchtete sich vor der toten Wasseroberfläche. Stand auf, ging weiter. Die Schlüsselblumen blieben vergessen am Bachrand liegen.
Unerwartet veränderte sich die Landschaft. Rechts des schmalen Weges Sand und Geröll. Im Graben lag eine tote Ziege. Auf ihrem gedunsenen Körper tausende von grün schillernden Fliegen. Katharina wandte den Blick ab. Die Sonne lastete drückend auf jedem Schritt. Vor ihr erhoben sich schroffe Berghänge, dazwischen steile Krater, aus denen Nebel stiegen. Sie kam nur mühsam voran, die Füße wie Blei so schwer. Der Mund voll Staub und Schrecken. Katharina durchquerte einen ausgetrockneten Fluss, der bedeckt war mit riesigen Steinen, von der Sonne gebleicht und vom Wind geschliffen. War schon fast in der Mitte des trockenen Flussbettes als ein Dröhnen die Stille zerriss.
Aus einem der vielen Canyons stürzten tosend Wassermassen. Sie verteilten sich über die Landschaft, erreichten das Tal. Die Flut riss Katharina um. Sie schlug mit dem Kopf auf einen der Steine. Ihre Kleider füllten sich schwer mit Wasser. Sie verlor einen Stiefel, versuchte aufzustehen, fiel wieder hin. Ihr Rucksack wurde vom Wasser davongetragen. Verzweifelt griff sie nach einigen vertrockneten Büschen am Ufer. Krallte die Hände in die steinige Böschung. Stemmte sich hoch. Fiel erschöpft auf den harten Boden. Das Wasser war im Gestein versickert. Wind kam auf. Er heulte und pfiff, strich über sie hinweg, deckte sie mit feinem Wüstensand zu. Über ihr schwang sich ein Bussard mühelos in einen sonderbar durchsichtigen Himmel. Sie stand auf, wischte einen dünnen Blutfaden weg, der aus einer Wunde am Kopf sickerte. Humpelnd suchte sie einen Weg aus der Talsohle, kantige Steine bohrten sich schmerzend in ihren nackten Fuß. Die Sonne saugte sich an ihrer Haut fest, drang hinter ihren Augäpfeln tief ins Gehirn, füllte den Kopf mit blendendem Licht. Keuchend erklomm sie einen Hang. Aber je höher sie stieg, desto weiter schien sich das Bergplateau zu entfernen. Gerade eben noch zum Greifen nahe. Gleich darauf im grellen Sonnenlicht verschwunden. Schweiß lief ihr in die Augen, mischte sich mit Tränen. Sie wollte schreien. Wusste, dass sie allein war. Niemand hörte sie. Sie wimmerte: ‘Mama, Lea.’ Aus ihrem ausgetrockneten Mund kam nur ein Krächzen. Endlich hatte sie einen schmalen Grat erreicht. Der Blick reichte weit hinweg über Hügel, Bergketten, tiefe Abgründe, enge Auswaschungen. Erschöpft ließ sie sich auf dem Weg nieder. Musste Atem holen, wollte hier liegen bleiben.
Warum war sie allein? Nirgends ein Mensch! Überhaupt kein Lebewesen. Eine unheimliche Ruhe über der Landschaft. Gelbes Licht kroch in jede Spalte, drang in Ritzen und Öffnungen, aus denen stinkende Dämpfe quollen. Jetzt erst merkte sie, warum das Licht so erschreckend war, es gab keine Schatten. Die erbarmungslose Landschaft helligkeitsüberflutet.
Sie hielt sich geblendet die Augen zu, musste weiter.
Auf allen Vieren schleppte sie sich den Weg entlang. Hatte keine Kraft mehr, aufzustehen. Die spitzen Steine gruben sich in ihre Knie, in die Hände. Plötzlich vor ihr im Staub ein Paar schmutzige Soldatenstiefel. Sie hielt inne, hob langsam die Augen. Ihr Blick glitt an Beinen hoch, um die eine unförmige Uniformhose schlotterte, der Oberkörper in einer viel zu weiten Soldatenjacke, an den Seiten herunterbaumelnde Hände. Die Sonne glitzerte auf den Metallknöpfen der Jacke. Und darüber ein Gesicht. Ein sehr junges Gesicht, das sich jetzt in einem breiten Grinsen auseinander zog. Aus dem leicht geöffneten Mund drang ein Lachen. Erst leise. Dann immer lauter. Es füllte die zerklüftete Landschaft.. Prallte gegen die Felswände. Kam als drohendes Echo zurück.. Schlug über ihr zusammen... Da fing sie an zu schreien.